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20 Jahre FAO-Leitlinien „Recht auf Nahrung“

Kein Mensch soll hungern. Das bestimmen die UN-Menschenrechtscharta und der UN-Sozialpakt. Um Staaten bei der Einlösung dieser Verpflichtung zu unterstützen, hat die Welternährungsorganisation (FAO) im Jahr 2004 Leitlinien verabschiedet. Inzwischen tragen sie konkret dazu bei, das Menschenrecht auf Nahrung zu verwirklichen.

Von Francisco Marí am

Erfreulich ist: Der Einfluss der Leitlinien wächst. Im kommenden November feiern wir das 20-jährige Jubiläum der „Freiwilligen Leitlinien zur Unterstützung der schrittweisen Verwirklichung des Rechtes auf angemessene Nahrung im Rahmen der nationalen Ernährungssicherheit“. Jedes Wort dieses sperrigen Titels erzählt von den heftigen mehrjährigen Auseinandersetzungen um die Formulierung der Leitlinien in der Staatengemeinschaft. Auf der einen Seite versuchten internationale Agrarkonzerne und Agrarexportländer wie USA, EU, Brasilien und Russland massiv, Einfluss zu nehmen. Auf der anderen Seite gelang es Zivilgesellschaften, Druck auf ihre Regierungen auszuüben.

Die zwanzig Einzelempfehlungen der Leitlinien beinhalten Schritte, wie Mangelernährung und Hunger in der Welt beseitigt werden könnten. Durch öffentliche Förderung der ländlichen Entwicklung, Aufbau von sozialen Sicherungssystemen oder Strategien zur Bekämpfung von Hunger und Armut in den Städten. Das Regelwerk ist als freiwilliges Instrument konzipiert, als Richtlinie für Regierungen, zivilgesellschaftliche Organisationen und andere Akteure.

Vor allem soziale Bewegungen, indigene Völker, Kleinbäuer:innen, Viehhalter:innen und Organisationen aus der Kleinfischerei und der Waldbewirtschaftung nutzen die Leitlinien als zentrale Säule in ihren Auseinandersetzungen mit Machthabenden auf nationaler, regionaler und globaler Ebene. Dabei geht es um Ansprüche gegenüber Politik und Industrie, um Marktzugang, Land-, Weide- und Fangrechte oder Saatgutnutzung. Sozial- und Verbraucher:innenverbänden und Gewerkschaften begründen mit den Leitlinien ihre Forderungen: auf Zugang zu gesunder Ernährung, Einrichtung sozialer Sicherungssysteme, Regulierung der Agrar- und Nahrungsindustrie.

Auch fördert das Regelwerk eine nachhaltige Landwirtschaft und geschlechtersensible Ansätze. So sollen lokale Märkte vor Agrarimporten geschützt, Bäuerinnen die Nutzung und Besitz von Land garantiert werden, der Zugang zu öffentlichen Gütern wie Wasser, Wald oder Fischgründe für Nahrungsproduzent:innen gesichert sein.

Der Welternährungsausschuss und der Mechanismus der Zivilgesellschaft

Der dritte Abschnitt der Leitlinien befasst sich mit der internationalen Dimension und den Aufgaben und Verpflichtungen der Weltgemeinschaft. Sie soll regelmäßig über Fortschritte und Hindernisse bei der Umsetzung des Menschenrechts auf Nahrung beraten. Hier wurde dem Ausschuss zur Welternährungssicherheit (CFS) eine besondere Rolle zugedacht, die aber erst 2009, auch unter dem Eindruck einer vorherigen Welternährungskrise, zu einer grundlegenden Reform des Ausschusses führte. Das CFS wurde so zum einzigen UN-Gremium, in dem Betroffene von Armut und Hunger, Nahrungsproduzen:innen und Zivilgesellschaft eine gleichberechtigte Stimme bei allen Beratungen und Entschließungen haben. Die Empfehlungen eines wissenschaftlichen Panels (HLPE) können jährlich von den Mitgliedsstaaten zu Selbstverpflichtungen mit konkreten Maßnahmen führen, um das Menschenrecht auf Nahrung zu verwirklichen. Dazu gehören Beschlüsse zur Agrarökologie, zu Land- und Wasserzugang, Fischerei- und Waldnutzung oder zur Geschlechtergerechtigkeit.

Darüber hinaus hat der Erfolg der FAO-Leitlinien zum Recht auf Nahrung dazu geführt, dass im CFS und in der FAO für Bereiche, in denen starke Interessenkonflikte zwischen Industrie und Investoren und den Rechten der Landbevölkerung auftraten, gesonderte Definitionen menschenrechtlicher Verpflichtungen für Staaten und Industrie erlassen wurden. Dabei hervorzuheben sind die Leitlinien zur Nutzung von Land, Wald und Fischgründen und die von der FAO verabschiedeten Leitlinien zum Schutz der Kleinfischerei.

Wie sich diese Entwicklung positiv für die Nahrungsproduzent:innen ausgewirkt hat, schildert Gaoussou Gueye, Präsident des Afrikanischen Verbandes der handwerklichen Fischerei (CAOPA) und Partner von Brot für die Welt: „Die Anerkennung der Eigenständigkeit einer Kleinfischerei mit exklusiven Zugangsrechten zu küstennahen Fischgründen in den FAO-Leitlinien haben es uns ermöglicht, in vielen Küstenländern Afrikas diese Rechte in den Fischereigesetzen neu zu verankern. Die Betonung der Bedeutung von Fisch für die nationale Ernährungssicherung in den Leitlinien hat zu einer größeren Anerkennung der Rolle von Frauen geführt, die Fisch verarbeiten. Ihr Beitrag für die nationale Umsetzung des Rechts auf Nahrung ist immens, besonders für ärmere Bevölkerungsschichten, die sich ohne sie keinen Fisch leisten könnten.“

Zivilgesellschaftliche Delegierte im Welternährungsausschuss (CSIPM) haben bereits 2018 einen Bericht veröffentlicht, der dokumentiert, wie das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Umsetzung der Leitlinien weltweit wächst. Zahlreiche Länder wie Kenia, Mexiko, Nepal, Bolivien, Brasilien oder Ägypten haben das „Recht auf Nahrung“ oder Ernährungssouveränität in ihren Verfassungen verankert. Damit werden Regierungen verpflichtet, die Ernährung ihrer Bevölkerungen sicherzustellen und den Kampf gegen Hunger in ihrem Land zu finanzieren.

Multiakteurspartnerschaften – das Einfallstor für die Agrarkonzerne

Doch gibt es auch weiterhin erhebliche Verstöße gegen das Menschenrecht auf angemessene Ernährung, stellt der Bericht fest. Viele Staaten würden sich unfähig zeigen, Prinzipien wie „Nichtdiskriminierung, Transparenz, Rechenschaftspflicht“ umzusetzen. Geäußert werden auch Bedenken über die wachsende Anzahl von Multi-Stakeholder-Plattformen, bei denen Wirtschaft, Nichtregierungsorganisationen und Staaten auf einer Ebene beraten. Aber statt Beschlüsse zu fassen, die menschenrechtliche Verpflichtungen von Staaten anmahnen, werden wie auf dem UN-Welternährungsgipfel 2021 von allen Akteuren nur freiwillige „Versprechen (commitments)“ abgegeben. Die sollen in der Summe den weltweiten Hunger beseitigen, bleiben aber ähnlich wie die nicht verpflichtenden SDGs weit vom Ziel entfernt.   

Dazu Sofia Monsalve, Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation FIAN, mit der Brot für die Welt schon lange in Fragen des Rechts auf Nahrung zusammenarbeitet: „Die Vereinten Nationen sind dazu übergegangen, Multi-Stakeholder einzuladen. Unser Problem dabei ist die Frage, nach welchen Regeln diese Gespräche geführt werden. Wichtige Beschlüsse werden inzwischen kaum mehr in offiziellen zwischenstaatlichen Verhandlungen gefasst. Das geschieht mehr und mehr in informellen Rahmen anlässlich von Gipfeltreffen. Diese ungerechte und unfaire Architektur einer politischen Steuerung von UN-Gremien durch Wirtschaftslobbyisten muss aufhören und demokratische Entscheidungsfindungen gestärkt werden, die unsere Ernährungssysteme vom Zugriff der Nahrungskonzerne befreien.“

Auch daher fordert der CSIPM-Bericht eine Überarbeitung der freiwilligen Leitlinien. Rechtliche Verbindlichkeiten sollen gestärkt, klare Indikatoren zum Monitoring der Umsetzung entwickelt und die Zivilgesellschaft in größerem Umfang beteiligt werden. Landrechte und Landnutzung sollen betont, die Geschlechtergleichstellung gefördert, Kleinbäuer:innen und die lokale Landwirtschaft sollen unterstützt werden. Schließlich sollen neue Herausforderungen, wie die Folgen der Klimakrise, Digitalisierung, die Globalisierung der Agrarmärkte und Konflikte um Landbedarfe von Neu-Investoren, zum Beispiel für erneuerbare Energien, menschenrechtlich aufgegriffen werden.  

In den kommenden Monaten arbeiten Brot für die Welt und Partnerorganisationen auf die FAO-Herbstkonferenz zum 20-jährigen Jubiläum hin. Dort sollen neue Maßnahmen zur Bekämpfung von Hunger und Mangelernährung verabschiedet werden. Mit unseren Partnern aus allen Kontinenten werden wir versuchen im CFS Einfluss auf die nun in Rom begonnenen Verhandlungen zu nehmen, im Sinne der im CSIPM-Bericht beschriebenen Forderungen zur Weiterentwicklung der Leitlinien. Die Ergebnisse der Konferenz werden weitreichende Folgen haben, etwa für Handelsbeschlüsse in der WTO oder Klima- und Biodiversitätsabkommen. Denn die Bedeutung der Leitlinien mit dem sperrigen Namen wächst erfreulicherweise von Jahr zu Jahr, weltweit.

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