Polizeieinsatz gegen Demonstranten n Peru
Atlas der Zivilgesellschaft 2024

Instrumente der Unterdrückung

Um gegen Aktivist:innen und NGOs vorzugehen, greifen Regierungen, Konzerne und Milizen weltweit auf ein breites Spektrum an Methoden zurück, um kritische Stimmen mundtot zu machen. Dazu zählen zunehmend Gesetze, der Terrorismus-Vorwurf, das Internet, Zensur und oft auch Waffen. Damit versuchen sie, nicht nur Menschenrechtsverteidiger:innen, sondern auch Journalist:innen zum Schweigen zu bringen. Der Atlas der Zivilgesellschaft 2024 stellt diese Methoden vor.

1. Als „Ausländische Agenten“ einstufen

Aus guten Gründen unterstützt die Entwicklungszusammenarbeit weltweit Partnerorganisationen finanziell. Daraus drehen Regierungen diesen gerne einen Strick: NGOs werden als ausländisch finanzierte und gesteuerte „Agenten“ diffamiert, schikanösen Regularien unterworfen oder geschlossen. Das in Washington ansässige International Center for Non-Profit Law (ICNL) zählt seit 2016 mehr als 180 solch restriktiver Gesetze oder Gesetzentwürfe in 91 Ländern, unter anderem in China, Ägypten, Äthiopien, Ungarn, El Salvador, Kirgisistan, Israel, Indien. In Russland wurden seit 2012 auf Grundlage einer solchen Gesetzgebung mehr als 30 internationale und unzählige russische NGOs zur Aufgabe gezwungen oder massiv in ihrer Arbeit eingeschränkt. Seit 2020 kann es auch auf Privatpersonen angewandt werden.

2. Des Terrorismus bezichtigen

Staaten nutzen die Bekämpfung von Terrorismus und gewalttätigem Extremismus als Vorwand, um missliebige NGOs als „terroristisch“ einzustufen. NGOs oder Aktivist:innen drohen deswegen mitunter drakonische Strafen – zumal Terrorismus in vielen Ländern sehr vage definiert wird. Die Auslegung obliegt dabei oft den Machthabenden allein und wird häufig als Rechtfertigung für die Unterdrückung Andersdenkender genutzt. Häufig entstehen mit diesen Anti-Terror-Gesetzgebungen Parallelstrukturen zu regulären Strafverfahren. Dadurch kann niemand kontrollieren, ob Regierende Rechtstaatprinzipien und Menschenrechte einhalten. Denn: Im Namen der Terrorismusbekämpfung hebeln Staaten Regeln eines ordnungsgemäßen Prozesses und Verfahrensschutzes aus, indem sie etwa Beweismittel geheim halten, Menschen überwachen, Rechtsbeistand verweigern, Haftzeiten verlängern, auch Prozesse vor Sondergerichten verhandeln. Fälle der als Terrorist:innen bezeichneten Aktivist:innen werden beispielsweise vor Militärgerichten verhandelt – auch in Abwesenheit der Angeklagten oder ohne Rechtsbeistand. Auf den Philippinen
beispielsweise kamen im September 2023 28 Mitarbeitende der Brot-für-die-Welt-Partnerorganisation CERNET vor Gericht. Die Armee hatte sie angeklagt, durch ihre Arbeit gegen den Terrorism Financing Prevention and Supression Act verstoßen zu haben.

3. Digital überwachen und kontrollieren

Die digitale Unterdrückung von Zivilgesellschaft variiert: Mal zensieren und blocken Regierungen Nachrichten und Social-Media-Plattformen wie WhatsApp und Instagram. Mal überwachen sie Aktivist:innen und Medien digital, um Proteste oder Berichte über Machtmissbrauch und Korruption zu verhindern. Laut dem Report Freedom on the Net der NGO Freedom House drohen Menschen in 55 von 70 untersuchten Ländern rechtliche Konsequenzen, weil sie sich online kritisch geäußert haben. In 41 Ländern wurden Menschen, die sich online kritisch geäußert hatten, angegriffen oder getötet. Auch der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) bedroht den Civic Space: Für Online-Desinformationskampagnen setzen Regierungen und Machthabende sie gezielt ein und können Texte, Audios und Bilder produzieren, die reine Fälschungen sind.

4. Verleumden und diffamieren

Oft müssen sich Menschenrechtsverteidiger:innen und Journalist:innen wegen ihrer Äußerungen gegen Verleumdungsklagen wehren. Das Muster ist immer dasselbe: Menschen, die sich angegriffen fühlen, missbrauchen rechtliche Möglichkeiten, um sich gegen unliebsame Kritik zu wehren. Die Folge ist eine Atmosphäre der Einschüchterung, in der Menschenrechtsverteidiger:innen sich teils selbst zensieren. Zuletzt nahm weltweit die Zahl der sogenannten SLAPP-Klagen gegen Medienschaffende und NGOs zu – das steht für „strategische Gerichtsverfahren gegen die Beteiligung der Öffentlichkeit“ Dahinter stehen oft Unternehmen. Sie führen einen Prozess nicht, um ihn zu gewinnen, sondern um ihren Gegner einzuschüchtern, diesen an den finanziellen Ruin zu führen – und zum Schweigen zu bringen; während laufender Verfahren darf in der Regel nicht berichtet werden. Die EU will nun gegen SLAPP vorgehen.

5. Kriegsrecht ausrufen

Führen Staaten Kriege, ermächtigen sie sich oft selbst, härter als sonst erlaubt gegen die Zivilgesellschaft vorzugehen. Das Kriegsrecht oder der Ausnahmezustand verbietet oft Demonstrationen und Versammlungen – und erlaubt Ausgangssperren. 2022 stieg die Zahl der bewaffneten Konflikte weltweit auf 55 an – der höchste Wert seit 40 Jahren. 238.000 Menschen sind 2022 laut Global Peace Index Opfer von bewaffneten Konflikten geworden. Die Folgen für die Zivilgesellschaft sind vielfältig und schwerwiegend. Beispiel Russland: Nach dem Überfall auf die Ukraine schickte Russland Menschen, die gegen den Krieg protestiert hatten, wegen „Extremismus“ für bis zu 25 Jahre ins Gefängnis. Auch in Myanmar geht das Militär seit drei Jahren mit äußerster Gewalt gegen Kritiker:innen und Demonstrierende vor. Beobachtende berichten von Luftangriffen auf Menschenmengen, verfolgten Demonstrierenden und exekutierten Zivilist:innen. Gegner:innen des Regimes werden von Militärgerichten abgeurteilt.

6. Versammlungen verbieten

Kern des Handlungsraums der Zivilgesellschaft ist das Recht auf friedliche Versammlung. Doch das wird zunehmend eingeschränkt. Nach einer Erhebung der NGO CIVICUS haben Polizei und Militär in mindestens 69 Ländern bei Demonstrationen exzessive Gewalt angewendet, um Menschen daran zu hindern, ihr Recht auf friedliche Versammlung vollständig auszuüben. So etwa in Perus Hauptstadt Lima, wo die Menschen monatelang gegen die Amtsenthebung und Verhaftung des linksgerichteten Präsidenten Pedro Castillo am 7. Dezember 2022 protestierten. Sie forderten den Rücktritt von Castillos Nachfolgerin Dina Boluarte, die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen. Am 14. Dezember 2022 rief die Regierung den Ausnahmezustand aus. Dadurch wurden die Versammlungs- und Bewegungsfreiheit eingeschränkt, das Militär bekam zusätzliche Vollmachten. Mindestens 61 Tote, hunderte Verhaftungen und tausende verletzte Demonstrant:innen sind die Bilanz der staatlichen Gewalt gegen die Proteste.

7. Journalist:innen attackieren und behindern

Das Jahr 2023 für viele Journalist:innen, schreibt das International Press Institute (IPI). Seit Beginn des Gazakrieges zwischen Israel und der Hamas Mitte Oktober sind mindestens 83 bei Kampfhandlungen getötet worden Journalisten (Stand 24. Januar 2024). Dies sei die höchste Zahl an Journalist:innen, die in einem modernen Krieg oder Konflikt in so kurzer Zeit getötet wurden, so das IPI. Auch in anderen Konfliktgebieten, von der Ukraine über den Sudan bis nach Haiti, seien Journalist:innen „täglich Bedrohungen und gefährlichen Bedingungen“ ausgesetzt. In fast 80 Prozent der 261 Fälle von Journalist:innen, die in den letzten zehn Jahren – bis Oktober 2023 – als „Vergeltung“ für ihre Arbeit ermordet wurden, wurde niemand vor Gericht gestellt, beklagt das Committee to Protect Journalists (CPJ) in New York.

8. Aktivist:innen im Netz diffamieren

Das Internet hilft der Zivilgesellschaft, sich zu vernetzen, auszutauschen, zu mobilisieren und Missstände bekannt zu machen. Gleichzeitig schadet es ihr häufig, weil Staaten und Gegner:innen es als Mittel der Repression einsetzen – für Diffamierungskampagnen, Fake News, Doxxing. Laut dem Civic Freedom Monitor (CFM) des International Center for Not-for-Profit Law (ICNL) haben in den zurückliegenden zehn Jahren 46 Länder Gesetze und Verordnungen zu digitalen Rechten und Digitaler Governance erlassen oder angepasst.

9. Sexualisierte Gewalt ausüben

Von einem „globalen Backlash gegen die Rechte der Frauen“ im Jahr 2023 spricht Human Rights Watch. Mit antifeministischer Rhetorik werden diese Rechte in vielen Ländern zurückgedrängt. Attackiert werden auch LGBTIQ+-Personen. Für die „Förderung“ von Homosexualität sieht der im Mai 2023 vom Parlament in Uganda beschlossene „Anti-Homosexuality Act“ 20 Jahre Haft vor. Als „Förderung“ gelten dabei auch Aufklärung und die Vertretung der Rechte von LGBTIQ+-Personen. Das Gesetz, eines der schärfsten weltweit, ist Teil einer globalen Offensive: Wie in Uganda nehmen fundamentalistische Gruppen Menschen- und Minderheitenrechte ins Visier. Einige Kirchen befeuern LGBTIQ+-feindliche Stimmungen, gleichzeitig hetzen populistische Bewegungen gegen Feminismus und Queere und gewinnen so an Einfluss. Angebliche traditionelle (Familien-)Werte werden gegen westliche, „unnatürliche Liberalisierung“ oder „Sexualisierung“ in Stellung gebracht. Rechte sexueller Minderheiten werden von diesen Gruppen als „westliche Werte“ und „kolonial“ diffamiert.

10. Aktivist:innen töten

Es ist der ultimative Schritt, Kritiker:innen zum Schweigen zu bringen. Je enger der Handlungsraum für die Zivilgesellschaft, desto wahrscheinlicher wird Gewalt gegen sie angewandt. Die NGO Front Line Defenders zählte 2022 insgesamt 401 Menschenrechtsverteidiger:innen, die in 26 Ländern gezielt getötet wurden –13 Prozent mehr als im Vorjahr. Über 80 Prozent der registrierten Morde ereigneten sich in fünf Ländern – Kolumbien, der Ukraine, Mexiko, Brasilien und Honduras. Die Toten haben sich laut Front Line Defenders gegen die Verschlechterung der wirtschaftlichen Bedingungen, die Verschärfung des Autoritarismus und die Klimakrise gewehrt.

11. Straflosigkeit: Verbrechen nicht ahnden

Weltweit werden Menschenrechtsaktivist:innen unterdrückt, verletzt, oft auch ermordet. Dies passiert auch, wenn Menschenrechtsverletzungen keinen Preis haben. Vielerorts werden Täter:innen und Auftraggeber:innen nicht bestraft. Das geschieht, weil der Staat erst gar nicht ermittelt oder er selbst Auftraggeber ist. Oder weil die Justiz keine oder zu geringe Strafen verhängt. Laut dem Rule of Law Index des World Justice Projects ist seit 2016 eine globale Rezession der Rechtsstaatlichkeit zu beobachten; in zwei von drei Ländern haben sich demnach im Jahr 2023 die zivilen Rechtssysteme verschlechtert. Wenn Täter:innen keine Konsequenzen mehr tragen müssen für ihre Verbrechen, hat das Folgen für die Zivilgesellschaft. Clément Nyaletsossi Voule, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigung, befürchtet, dass Machthabende noch mehr willkürlich inhaftieren, foltern, vergewaltigen und töten würden.

Material zum Mitnehmen

Atlas der Zivilgesellschaft 2024

Fast ein Drittel der Menschheit lebt in Ländern ohne zivilgesellschaftliche Freiheiten. Lesen Sie mehr in der 7. Ausgabe des Atlas der Zivilgesellschaft.

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