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Handelsabkommen der EU mit Kenia spaltet Ostafrika

Die EU hat sich mit Kenia auf ein Handelsabkommen geeinigt, obwohl das Land Mitglied in der Ostafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (EAC) ist. Kenia kann nun weiter zollfrei in die EU exportieren, doch wird dafür die regionale Integration geopfert. Eine Einschätzung von Francisco Marí und Boniface Mabanza, Koordinator der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika.

Von Francisco Marí am
EPA-Widerstand in Nairobi

15 Jahre EPA-Widerstand! Schon 2007 auf dem Weltsozialforum demonstrierten tausende Kenianer:innen gegen ein Handelsabkommen mit der EU

Im langen Kapitel der Verhandlungen zwischen der EU und den Ländern Afrikas, die 2002 begannen und bis jetzt andauern, wurde am 19. Juni eine, aus Sicht der EU, beachtliche Zwischenetappe erreicht. Die EU hat mit Kenia eine Einigung über ein Abkommen mit der Ostafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (EAC) erreicht, das zunächst nur für Kenia gilt, aber allen EAC-Ländern offenstehen soll. In den letzten Jahren wurden Erfolgsmeldungen mit Blick auf die Verhandlungen um die WPAs (Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen EU und afrik. Regionen, engl. EPAs) immer seltener. In vielen EPA-Regionen wie Westafrika und Zentralafrika herrscht totaler Verhandlungsstillstand. Dieser Hintergrund ist wichtig, um die Überschwänglichkeit zu verstehen, mit der die EU-Kommission und auch das BMZ die Einigung mit Kenia verkünden. Dieses Abkommen wird aber im Grunde die Spaltung der EAC verschärfen und die kolonialen Wirtschaftsbeziehungen zementieren. Ob die von beiden Regierungen verkündeten Vorteile des Abkommens für Kenia Wirklichkeit werden können, ist Zukunftsmusik.

Rückblick

Kenia verhandelte mit der EU über ein regionales Abkommen gemeinsam mit den anderen Mitgliedern der Ostafrikanischen Gemeinschaft, Uganda, Ruanda, Burundi und Tansania bis 2014. Alle diese Länder gelten als sogenannte Niedrigeinkommensländer (LDCs). Ihre Exportprodukte können zollfrei in die EU eingeführt werden (EU-Präferenzsystem „Alles außer Waffen“). Kenia ist ein Land mit mittlerem Durchschnittseinkommen und würde ohne ein Abkommen mit der EU diesen bevorzugten Marktzugang verlieren. Die EU, im Gegensatz zu den USA, ist nicht bereit, auch den Mitteleinkommensländern wie Kenia, Ghana, Kamerun, Namibia, Botswana, Cote d‘Ivoire oder Eswatini zollfreien Zugang zu gewähren und begründet das mit einer sehr engen Interpretation von WTO-Regeln. 2014 war es dann tatsächlich soweit. Nachdem die EAC die von der EU gesetzte Frist zur Unterzeichnung eines regionalen Wirtschaftspartnerschaftsabkommens verstreichen ließ, verhängte die EU Importzölle auf Produkte aus Kenia. Kaffee, Tee, grüne Bohnen und Schnittblumen aus Kenia verrotteten am Hafen von Mombasa, weil sie auf dem EU-Markt nicht mehr wettbewerbsfähig waren gegenüber gleichen Produkten zum Beispiel aus Tansania oder Äthiopien. Diese Krise konnte durch die Wiederaufnahme Kenias auf die Ausnahmeliste der EU unter der Bedingung abgewendet werden, dass Kenia sich engagiert, zusammen mit den anderen Ländern der Region das regionale Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zu unterzeichnen. Es wurde bis 2016 weiterverhandelt. Als dann Tansania und Uganda sich weiterhin weigerten, das ausgehandelte Abkommen zu unterzeichnen, ließen sich Kenia und die EU ein „neues“ Verfahren einfallen: Die Unterzeichnung des Regionalabkommens durch Kenia allein würde reichen, um Kenias bevorzugten EU-Marktzugang zu bewahren. Zugleich begannen neue Verhandlungen, um aus dem EAC-Abkommen ein Kenia-Abkommen zu machen. Es ist eigentlich das alte Abkommen, nun aber ergänzt um ein sogenanntes Nachhaltigkeitskapitel und es lässt die Tür für alle anderen EAC-Länder offen, die sich dem anschließen wollen. Darauf wird noch später eingegangen.

Eckpunkte

Durch dieses Abkommen entfallen alle Einfuhrzölle und Kontingente für kenianische Waren in der EU ab Tag eins der Inkraftsetzung, ein Vorteil, den Kenia allerdings schon seit Jahrzehnten genießt. Dennoch wird er durch das Abkommen auf eine sichere vertragliche Basis gestellt. Kenia exportiert in die EU vor allem landwirtschaftliche Produkte wie Gemüse, Obst, Kaffee, Tee und (Schnitt-)Blumen.

Im Gegenzug muss Kenia in Zukunft 82,6 Prozent der EU-Importe über 15 Jahre schrittweise liberalisieren, wobei sich für 2,9 Prozent der Zollabbau bis auf 25 Jahre erstrecken soll. Unter den circa 18 Prozent der sensiblen Produkte, die Kenia gegen die Konkurrenz aus der EU auch weiterhin mit Zöllen schützen will, befinden sich landwirtschaftliche Erzeugnisse, Chemikalien, Kunststoffe, Textilien und Bekleidung, keramische Produkte, Glaswaren und Fahrzeuge. Das Abkommen wird von der EU-Kommission und vom BMZ als progressiv und modern dargestellt, weil es sogenannte Nachhaltigkeitskapitel mit Bestimmungen zu Klimaschutz, Arbeitsrecht und Geschlechtergerechtigkeit beinhaltet. Es soll in beidseitigem Interesse gestaltet worden sein und Wirtschaftswachstum in der EU und besonders in Kenia fördern. Ob dieses Ziel sich mit diesem Abkommen verwirklichen lässt, darf bezweifelt werden. Garantiert ist, dass dieses Abkommen Konfliktpotential für Kenia und die ostafrikanische Region mit sich bringt.

Kritikpunkte

Laut BMZ-Staatssekretär Flasbarth habe das Kenia-Abkommen ein starkes Nachhaltigkeitskapitel. Er selbst musste im Interview mit der TAZ (Staatssekretär über Abkommen mit Kenia: „Wir wollen Wertschöpfung vor Ort“ – taz.de) zugeben, dass die Sanktionsbewehrtheit mit Blick auf die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens in diesem so starken Nachhaltigkeitsabkommen ausgesetzt wurde, weil Kenia dagegen sei. Die EU-Kommission lasse sich darauf ein, weil Kenia mit 90 Prozent erneuerbaren Energien am Energiemix ein guter Schüler sei. Diese Argumentationslinie ist verdreht, da bekannt ist, dass es die EU-Länder sind, die seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine vermehrt auf fossile Energien zurückgreifen und somit selbst die Ziele des Pariser Klimaabkommens unterlaufen. Wie wäre es, wenn Kenia dies zum Anlass nehmen würde, Sanktionen gegen die EU zu verhängen und das EPA-Abkommen auszusetzen? Undenkbar, denn Kenia würde sich durch den Verzicht auf den Verkauf von Blumen und Kaffee als Sanktion gegen die EU ja selbst schaden.

Es zeigt sich, dass das Gerede von Augenhöhe bei bilateralen Abkommen zwischen starken Industrieländern und Entwicklungsstaaten falsch ist. Das seit der Kolonialzeit bestehende wirtschaftliche Ungleichgewicht macht es unmöglich, dass Länder wie Kenia wirksame Sanktionen gegen die EU bei Vertragsverletzung erlassen, zum Beispiel wenn Menschenrechte – wie gerade durch die EU-Politik gegen Geflüchtete – massiv verletzt werden.

Und solange dies der Fall ist, kann die EU weiter über eine Sanktionsbewehrtheit in Handelsabkommen schwadronieren, weil sie sie nach eigener Interessenlage definieren wird. Die EU weiß, dass ihre „Partner“ es sich niemals leisten können, Vertragsstrafen gegen die EU anzuwenden. Sie können nur einseitig von der EU ausgeübt werden, weil die Wirtschaftsmacht ungleich ist. Das Beispiel Kenias zeigt also, dass die Forderung nach Sanktionen bei Verletzung von Menschenrechts- oder Umweltbestimmungen in den ungleichen Abkommen nur einseitig anwendbar ist und damit koloniale Machtverhältnisse zementiert. Klimagerechtigkeit, Menschenrechte, Geschlechtergerechtigkeit oder Arbeitsschutz wären besser in multilateralen Handelsbeziehungen aufgehoben. Da ist auch die EU von Entwicklungsländern in Schiedsverfahren der WTO wegen Verstößen verurteilt worden und Gegenmaßnahmen von Staatengruppen gegen die EU können dort wirtschaftlich eher weh tun.

Die Abspaltung Kenias

Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, dass durch dieses Abkommen mit Kenia die EU in Kauf nimmt, eine funktionierende regionale Wirtschaftsstruktur zu sprengen, die über Jahrzehnte gewachsen ist und immer besser funktionierte. Zum Beispiel haben, nach EU-Vorbild, in den letzten Jahren auch Investitionen in gemeinsame Infrastrukturprojekte für die Zukunft noch mehr an Bedeutung gewonnen, damit ein Binnenmarkt funktionieren kann. Spätestens mit diesem Abkommen mit Kenia hat die EU-Kommission den Beweis erbracht, dass das immer wieder heraufbeschworene Ziel, durch die EPAs regionale Integration in Afrika vorantreiben zu wollen, nur Rhetorik zur Verschleierung der wahren eigenen Exportabsichten war. Die Tatsache, dass seit 2016 die EU nur noch mit Kenia allein verhandelt und davon ausgeht, dass sich alle anderen ostafrikanischen Länder fügen müssen, zeigt nicht nur, dass alte koloniale Methoden („teile und herrsche“) immer noch aktuell sind. Denn wer diese Region und die bereits existierenden Spannungen zwischen Kenia und Tansania kennt, weiß, dass dieses Abkommen konfliktverschärfend sein wird. Nach dem Prinzip „friss Vogel oder stirb“ müssen sechs andere Staaten ohne weitere Verhandlungen dem Text mit Kenia zustimmen oder den Schaden durch das Herausbrechen Kenias aus der Wirtschaftsgemeinschaft akzeptieren. Es gehört schon einiges an Chuzpe dazu, dies in Berlin und Brüssel so abzufeiern. Wie würde es in der EU ankommen, wenn die USA mit Deutschland allein ein Abkommen abschließen würden, von dem deutsche Exporte in die USA profitieren, mit der brisanten Gefahr, dass langfristig amerikanische Exporte über Deutschland auch Italien und Frankreich in Mitleidenschaft ziehen? Da würden Italien, Frankreich und Spanien nicht gerade jubeln, wenn die USA anböten, sie könnten ja auch dem Abkommen ohne Neuverhandlungen beitreten. Genau dies tut die EU aber mit dem Kenia-Abkommen.

In der Praxis scheint die Gefahr der Marktverdrängung und die Gefährdung junger Industrien zumindest kurzfristig nicht so akut zu sein, denn die Industrialisierung des Landes geht nur langsam voran.

Aber alleine die Tatsache, dass die EU in den nächsten 25 Jahren in Kenia mitbestimmt, wie eine Industrialisierung auszusehen hat, ist besorgniserregend und für viele Menschen im Lande eine unzumutbare Einmischung der EU in Kenias Zukunft. Gerade dieser Punkt war und ist für Tansania ein guter Grund, warum das Land nicht bereit ist, sich seine industrielle Zukunft von der EU durch ein Wirtschaftspartnerschaftsabkommen vorzeichnen zu lassen.

Profiteure des Abkommens

Schließlich gilt es, auch die Argumente zu berücksichtigen, die zumindest ein Teil der kenianischen Zivilgesellschaft seit Beginn dieser Verhandlungen geltend macht: Aus der Perspektive dieser Gruppen ist es mit kenianischen Interessen bei diesem Abkommen nicht so eindeutig, wie es auf dem ersten Blick scheint. Grundsätzlich begrüßen sie, dass die ärmsten Entwicklungsländer bessere Marktzugänge in Industrienationen erhalten. Dennoch schließt der Marktzugang nicht die Frage aus, wer davon profitiert und welche Wirkungen eine Exportorientierung auf die gesamte Wirtschaftsstruktur hat.

Im Fall ihres Landes sehen viele lokale NROs und Verbände kleinbäuerlicher Produzent:innen, dass mehr als 80 Prozent der Unternehmen, die Blumen, Tee, Kaffee und Bohnen produzieren, Firmen mit großen europäischen Kapitalbeteiligungen sind. Hier entstehen zum Teil oft prekäre und saisonale Arbeitsplätze. Zwar generiert Kenia mit den Exporten einiges an Steuereinnahmen, aber das Abkommen wird noch mehr Agrarinvestoren anlocken und noch mehr Land und Wasser wird in eine exportorientierte Landwirtschaft gehen. Der größte Teil der Wertschöpfung wird zudem in Europa erwirtschaftet. Die Regierung in Kenia wird mit Krediten noch mehr Infrastruktur für diese Agrarinvestoren mit Schulden aufbauen müssen.

Agrarroulette

Daher fragen sich Teile der Zivilgesellschaft, ob geringe Steuereinnahmen und fragwürdige Arbeitsplätze gute Argumente sind, um sich auf ein Abkommen einzulassen, das sich nach und nach durch den Abbau von Schutzzöllen einer europäischen Konkurrenz öffnet, aber einheimische Investitionen in Industrie, Dienstleistungen und Digitalwesen unfairer Konkurrenz aussetzt. Eine Ausweitung von Agrarexporten aufgrund des zollfreien Zugangs zum europäischen Markt birgt die Gefahr der Abhängigkeit von Agrarexporten, die dann aus Europa oder wie momentan besonders negativ spürbar aus der Ukraine und Russland kommen. In Westafrika ist dieses Agrarroulette, Bananen und Kakao nach Europa, Weizen und Hähnchenschenkel aus der EU, schon fast ein Nullsummenspiel. Die Staaten nehmen mit ihren Agrarexporten nur geringfügig mehr ein, als sie in Europa für Nahrungsimporte ausgeben. Bedenkt man noch, dass auf den verbliebenen Agrarflächen Wasserknappheit und schlechte Böden übrigbleiben, wo in Monokulturen mit hohem importierten Kunstdüngereinsatz, Pestiziden und industriellem Saatgut nur Sattmacher wie Mais und Reis wachsen, ist die Frage nach den Vorteilen des Abkommens leicht zu beantworten. Es gibt im Grunde keine!

Protest

Seit Unterzeichnung des Abkommens adressieren bäuerliche und städtische Aktivist:innen und NROs an die eigene Regierung den Vorwurf mit diesem Abkommen, das ohne eine breite gesellschaftliche Debatte abgeschlossen wurde, auch die Vereinbarung in der EAC zu brechen, die Kenia nur gestatte das bisherige Zwischenabkommen anzuwenden und nicht wie jetzt geschehen ein Abkommen mit zusätzlichen sogenannten Nachhaltigkeitskapiteln zu zeichnen. Gegen diesen Bruch der kenianischen Regierung mit der regionalen Vereinbarung wollen NROs ihre Regierung beim ostafrikanischen Gerichtshof verklagen.

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