Interview

„Die Wirtschaft muss den Menschen dienen“

Die Deutschen sorgen sich nicht nur um die Folgen von Klimawandel und sozialer Spaltung. Sie haben auch Angst davor, welches Leben für sie herauskommt, wenn sich Deutschland zu einer klimagerechten Gesellschaft umbaut. Andrea Fütterer leitet bei GEPA die Abteilung Grundsatz und Politik. Sie sagt: Was sich zu allererst ändern muss, ist unsere Vorstellung von Wohlstand.

Von Kai Schächtele am
Andrea Fütterer, GEPA

Andrea Fütterer, Leiterin der Abteilung Grundsatz und Politik bei GEPA

Regelmäßig ermitteln das Umweltbundesamt und das Umweltministerium das Umweltbewusstsein der Deutschen. Die aktuelle Erhebung stammt von Anfang August. 85 Prozent der Befragten nehmen danach bereits sehr starke oder starke Auswirkungen des Klimawandels wahr: Trockenheit, Niedrigwasser und Dürren. 91 Prozent der Befragten unterstützen daher das Vorhaben, die deutsche Wirtschaft umwelt- und klimafreundlich umzubauen. Viele Deutsche machen sich allerdings nicht nur Sorgen ums Klima, sondern auch um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Drei Viertel der Befragten befürchten, dass die ökologische Transformation die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert. Etwa 40 Prozent haben Angst vor dem sozialen Abstieg. Nachhaltiges Wirtschaften kann also nur funktionieren, wenn Menschen sich dabei gerecht behandelt fühlen. Wie kann das gelingen? Andrea Fütterer, die Leiterin der Abteilung Grundsatz und Politik, hat eine einfache Antwort. Sie ist das Ergebnis aus fünf Jahrzehnten, in denen GEPA* nach den Grundsätzen des Fairen Handels arbeitet.

 

Frau Fütterer, viele Menschen haben in Deutschland im Moment nicht nur Angst vor den Folgen der Erderwärmung, sondern auch vor dem Umbau unserer Wirtschaft. Sie befürchten, dass die soziale Spaltung zunimmt und sie absteigen. Können Sie diese Sorgen nachvollziehen?

Ja, absolut. Das sind ja Realitäten, die jetzt gerade passieren, zum Beispiel die Energieverknappung durch den Ukraine-Krieg. Ich bin allerdings der Meinung, dass die berechtigten Sorgen auch noch geschürt werden. Ich sehe Panikmache von Seiten der Politik und der Medien. Aus meiner Sicht ist das nicht hilfreich. Bei der Frage nach unserem Wohlstand müssen wir uns einfach fragen: Was ist Wohlstand wirklich – nur Profitmaximierung? Wir als Fair Handels-Organisation haben diese Frage schon lang beantwortet. Die Wirtschaft ist extrem wichtig. Aber das Ziel darf nicht Profitmaximierung sein. Unsere Kernaussage lautet:„ people and planet before profit“.

Wie erklären Sie sich, dass Medien und Politik eine solche Panikmache betreiben?

Angst wird aus meiner Sicht oft genutzt, um unliebsame Entscheidungen zu rechtfertigen. Je mehr Menschen Angst haben vor der Zukunft und davor, wie es ihnen persönlich gehen wird, umso eher sind sie bereit, drastische Maßnahmen zu akzeptieren oder nach einfachen Erklärungen zu suchen. Das ist ja ein typischer Reflex. Wer selbst Angst hat, fragt sich: Wer ist daran schuld?

Genauso betreiben allerdings Kräfte in der Politik Profitmaximierung: Sie versprechen Menschen, dass sich nichts ändern wird, erklären Eigenverantwortung und Freiheit zu den obersten Maximen und profitieren davon in Form von Umfragewerten und Wahlergebnissen.

Deshalb ist unser Grundtenor, dass es um Gerechtigkeit geht und nicht um individuelle Bereicherung. Da gibt es ja auch immer wieder beeindruckende Zahlen. Zum Beispiel hat Oxfam vor drei Jahren ermittelt, dass weltweit 2153 Milliardäre so viel besitzen wie 60 Prozent der Weltbevölkerung. Wenn man sich eine solche Zahl vergegenwärtigt, ist ganz klar, dass es eine gerechte Verteilung von Wohlstand braucht. Wovor Menschen aus meiner Sicht tatsächlich Angst haben sollten, ist der Erdüberlastungstag: Der zeigt an, wann wir unsere Ressourcen für ein Jahr verbraucht haben. In diesem Jahr war er in Deutschland am 4. Mai. Wir verbrauchen im Moment 1,7 Erden.

Was schließen Sie daraus?

Wir müssen wegkommen vom Wachstumsparadigma und brauchen ein Umdenken in Wirtschaft und Politik.

„Viele Menschen identifizieren sich über Pseudo-Wohlstand“

Auf solche Gedanken heißt es in der Politik aus bestimmten Ecken dann aber oft: Es ist naiv zu glauben, dass eine Wirtschaft ohne Wachstum auskommt. Wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen, gibt es keine Alternative. Andernfalls droht die Deindustrialisierung.

Dieses Wort Deindustrialisierung finde ich an dieser Stelle etwas unpassend. Ja, es gibt in bestimmten Industriebereichen Veränderungen, zum Beispiel in der Metallindustrie. Aber in anderen Bereichen entstehen neue Jobs. Das ist ein zu einfaches Argument, um Leuten Angst zu machen. Man muss sich damit auseinandersetzen und die Komplexität annehmen.

Was hat Ihr Prinzip des nachhaltigen Wirtschaftens für Folgen in der täglichen Arbeit?

Wir betreiben einen Handel, der die Rechte von Menschen und Natur schützt. Der angemessene Preise zahlt und danach schaut, dass die Arbeitsbedingungen okay sind und keine ausbeuterische Kinderarbeit stattfindet. Unser Punkt ist: Alle Menschen auf der Welt wollen ein würdiges Leben und ein würdiges Arbeitsumfeld haben. Und davon sind wir endlose Meilen entfernt. Durch die Kriterien, die wir uns als Fair Handels-Organisation auferlegt haben, zeigen wir seit fast 50 Jahren, dass es auch anders geht. Man kann produzieren und handeln unter der Würdigung des Schutzes von Mensch und Umwelt und damit erfolgreich wirtschaften.

Was hält aus Ihrer Sicht dann andere Organisationen und Unternehmen davon ab, Ihrem Weg zu folgen? Die wenigsten Menschen haben doch Spaß daran, Menschen und Natur zu schaden.

Auf der individuellen Ebene müsste man Menschen jetzt mal fragen, warum sie glauben, dass sie jeden Tag ein halbes Kilo Fleisch essen oder durch die Welt fliegen müssen. Viele interessiert einfach nicht, zu welchen Konsequenzen ein solcher Lebensstil führt. Auf der Ebene von zum Beispiel börsennotierten Unternehmen geht es meist darum, so viel Gewinn wie möglich zu machen. Der wird dann an einige wenige Leute verteilt. Für mich ist dieses Denken auch nicht erklärlich. Es ist oft ein Pseudo-Wohlstand, über den sich viele Menschen sich identifizieren.

„Wir fordern nicht Verbote, sondern Regulierungen“

Welche Herausforderungen begegnen Ihnen in Ihrer Arbeit, die zeigen, wie schwer und mühsam dieser Weg mitunter sein kann?

Zum einen die schiere Komplexität des Themas. Im Fairen Handel geht es um Gerechtigkeit, das betrifft viele Bereiche. Nehmen Sie unsere Energieversorgung. Wir führen koloniale Strukturen weiter, indem wir Länder im Globalen Süden noch stärker als vorher auf ihre Rohstoffe reduzieren, die wir so günstig wie möglich haben wollen. In diesem Kontext bewegen wir uns. Auch in der Klimakrise, wo die Auswirkungen unserer CO₂-Emissionen besonders die Menschen im Globalen Süden treffen. Und im Markt ist unsere Herausforderung, dass wir als GEPA die Guten im bösen System sind. Wir stehen im Regal neben vielen anderen Marken, die keinen Fairen Handel betreiben und Billigstprodukte anbieten. Und gerade jetzt in Zeiten der Inflation haben wir es doppelt und dreifach schwer, unsere Produkte verkaufen zu können. Einfach weil sie teurer sind. Dabei ist das total unlogisch. Denn würden die Schäden, die durch die Ausbeutung von Mensch und Umwelt durch andere Wirtschaftsakteure entstehen, eingepreist, würden deren Produkte viel teurer werden. Doch wir werden abgestraft.

Was kann sich die deutsche Wirtschaft von Ihren Erfahrungen abgucken, damit aus den Sorgen vieler Deutschen nicht Wirklichkeit wird?

Die Antwort ist ziemlich einfach: Die Wirtschaft muss dem Menschen dienen. Das Ziel muss sein, dass über Wirtschaft und Handel Menschen auf der ganzen Welt würdig leben können und die Umwelt geschützt wird. Wir versuchen seit Jahrzehnten, diesen Gedanken in Wirtschaft und Politik zu tragen. Dann heißt es immer gern: Die wollen dies und jenes verbieten. Unsere Antwort lautet: Es geht nicht um Verbote, sondern darum, dass wir von Wirtschaft und Politik erwarten, dass die Dinge reguliert werden.

Was heißt das konkret?

Es gab zum Beispiel eine lange Diskussion zur Kaffeesteuer, die dann versandet ist. Der Vorschlag war, dass bei fairem Kaffee die Steuer entfällt, damit das Preisungleichgewicht abgemildert wird. Aktuell gibt es die Debatte darum, bei gesunden Lebensmitteln wie Gemüse und Obst die Mehrwertsteuer zu streichen. Solche Regulierungen erwarten wir. Wir sind trotz diverser Schwachpunkte auch glücklich über das Lieferkettengesetz, das in Deutschland bereits beschlossen ist und in der EU noch verhandelt wird. Das ist ein Erfolg, weil darin viele Kriterien des Fairen Handels aufgenommen wurden, an die wir uns schon seit Jahrzehnten halten.

Mit welchen Gedanken und Gefühlen blicken Sie persönlich in die Zukunft?

Auf der einen Seite bin ich sehr besorgt über das, was auf der Welt aktuell passiert. Die Klimakrise, die Kriege, der Hunger, der Rechtsruck, zunehmende Menschenrechtsverletzungen. Auf der anderen Seite bin ich optimistisch, weil es als Gegengewicht so viele neue und positive Bewegungen gibt. Die transformativen Bewegungen, die Gemeinwohlökonomie, Fridays For Future und viele mehr. Und die sind auch nicht mehr so klein wie früher, sondern zum Glück im Alltag und in der Politik angekommen. Auch die Dringlichkeit der Situation ist angekommen. Und es ist unser Job, als Zivilgesellschaft die Politik immer mehr herauszufordern und vor uns herzutreiben.

*Disclaimer: Brot für die Welt ist Gesellschafter von GEPA und war im Jahr 1975 mit der Vorgängerorganisation Mitgründer der Fair Handels-Organisation.

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